“Schwarzer Frost”

David Wonschewski

Ein Musikjournalist steht in seiner Wohnung vor dem Plattenregal und überlegt. Er hat Besuch von seinem Kollegen Lohwald, einem berühmten TV- und Radiomoderator. Langsam wird ihm immer klarer, wie sehr er seinen Gast verabscheut. Er fasst einen Entschluss: Er wird Lohwald töten. Hier und jetzt. Dass er das Potential dazu hat, weiß er schon lang. Denn seit jeher fühlt er diese Kälte, die ihn taub werden lässt und ihn jeglicher Menschlichkeit beraubt. Doch dann, als er bereits an der Durchführung seines morbiden Planes feilt, entdeckt er plötzlich etwas an seinem Gast, das ihn verstört …

Lange hat mich kein Buch so sehr genervt. Ich habe 9 Stunden gebraucht um diese 232 Seiten zu lesen.

Wonschewski beschreibt neben dem Plot auch noch mindestens 3 Geschichten gleichzeitig, obwohl am Ende nicht ganz klar ist, welche davon der Plot ist. Ich dachte mir die ganze Zeit während ich las, dass er in ellyptischen Bahnen um den Punkt kreist, während er dabei immer wieder andere Baustellen kreuzt, aber irgendwie nie zum Punkt kommt und ich dachte so bei mir: argh, komm zum Punkt, nur um irgendwo zum Ende zu lesen, dass sich irgendwann alle Kreise schließen und ich denk so: Jetzt verarscht er dich noch.

In der Regel, wenn mich ein Bucht nervt, oder langweilt, lese ich das Ende und klappe es zu. Bei diesem Buch dachte ich mir gleich, dass das keinen Sinn macht, weil ich wusste, dass das Ende wenig mit dem Anfang zu tun haben wird und schon gar nicht mit irgendwas mittendrin. Und so würde ich das Ende eh nicht verstehen, und weil das Buch so fesselt, musste ich lesen, lesen, lesen, und ich hab mich über jede Unterbrechung geärgert.

Das Buch ist in 3 Teile geteilt, dazwischen gibt es keine Kapitel, keine Absätze, keine Unterbrechung, die es einem erlaubt mal eben Pipi zu gehen und so bin ich ständig mit diesem Buch durch die Gegend gelaufen. Es ließt sich wie ein einziger Gedankengang und das ist es im Grunde auch. Im Grunde unterbricht der Plot die Geschichten nebenher, und die Geschichten sich gegenseitig. Die 9 Stunden, die ich gelesen habe, sind in dem Buch vielleicht 60 Minuten vergangen, gefüllt mit Erinnerungen, Mutmaßungen, Selbstbetrug und psychischen Abgründen.

Das Ende ist überraschend, als ich das Buch zuklappte, dachte ich: Ja fuck.

Ihr müsst das lesen – un-be-dingt.

PS: Lieber David, entschuldige, dass ich erst jetzt dein Buch gelesen habe, obwohl es schon seit einem halben Jahr in meinem Regal steht. Ich liebe es.

Moralapostel

Ich habe mal wieder jemanden aus meiner Freundesliste eines sozialen Netzwerkes gelöscht. Das passiert mir dieser Tage häufiger, weil ich mit den sozialen, politischen oder moralischen Einstellungen einiger Menschen einfach nicht konform gehe (-n kann).

Betreffende Person hat sich mit ihren Freunden in epischer Breite über die Rechtschreibschwäche eines anderen Nutzers lustig gemacht, dabei einen Link zu dem entsprechenden Post gesendet und ich brauchte keine 3 Klicks um diese Person zu finden. Klar, sie hat einen Balken auf den Namen gelegt, um sie zu anonymisieren, aber durch den Link bekam sie binnen einer Minute ein Gesicht, konnte sich auf Grund der Privatsphäre Einstellung jedoch nicht äußern und so hab ich ihr eine Stimme gegeben. Dazu kommt, dass sie grammatischen und sprachlichen Defizite dieser Person scheinbar auf eine „nicht deutschstämmigen“ Herkunft ruhen. Was ist denn da los? Erst sollen „Ausländer“ die deutsche Sprache lernen und wenn sie die dann eben lernen, indem sie diese anwenden, wird sich darüber lustig gemacht? De facto sollen sie nicht lernen, sondern können und das schon zweimal nicht unter dem Intellekt, den sich manche Menschen selbst zuschreiben.

Meiner Meinung nach ist es eine Sache sich über Sachen im Internet lustig zu machen, mache ich ja auch. Aber da, wo es speziell gegen einen Menschen geht, und sich Menschen daran hochschaukeln, weil sie der Meinung sind, diesen Menschen intellektuell überlegen sind, kann ich einfach den Mund nicht halten. Ist vielleicht einer meiner größten Fehler.

In diesem speziellen Fall ist es auch noch etwas anders: Betreffende Gelöschte hat einen authistischen Sohn, daraus macht sie auch kein Geheimnis, warum auch, sie erwartet jedoch, dass dies immer und überall berücksichtigt wird. Sie argumentierte auf meinen Hinweis, dass das alles daneben sei mit „ich werde meinen Humor auf die Stille Treppe setzten“. Ist es das, was sie auch ihrem Sohn erzählt, wenn er irgendwann weinend nach Hause kommt und sagt, dass sich alle in der Klasse über ihn lustig gemacht haben? „Das ist schon in Ordnung, wenn alle dich auslachen, das ist schließlich deren Humor“?

Moralapostel hat sie mich genannt, und ich bin jetzt nicht der Mensch, der sich dafür rechtfertigt, sondern, ich denke darüber nach .. Dass ich hohe moralische Ansprüche hätte, habe ich schon in meiner Jugend oft hören müssen. Dass keiner meinen Ansprüchen gerecht würde, haben Menschen mir gesagt. Dass ich mit meinen Ansichten bald keine Freunde mehr hätte, habe ich neulich gehört.

Das Ding ist, ja, ich habe hohe moralische Ansprüche und zwar daran, wie, in diesem Fall, Menschen mit anderen Menschen in ihrem Umfeld umgehen und das betrifft auch Menschen in dem weiteren Umfeld eines sozialen Netzwerkes. Klar zieht das, zumindest in der Therorie, Kreise, die mich auch irgendwann betreffen, aber es geht dabei nicht primär darum, dass ich im Speziellen von Menschen so behandelt werde. Im Klartext heißt das, dass ich Menschen so behandel, wie ich selbst behandelt werden möchte, und dabei geht es nicht um Perfektion, ich bin weit weg von perfekt, sondern darum nach Perfektion zu streben und seine Ansprüche an sich selbst so hoch zu schrauben, dass einer selbst zumindest immer wieder diese Perfektion anstrebt.

Perfektion. Ich bin mit dieser Person schon einige Jahre bekannt und ich habe in der Vergangenheit viel mitbekommen, vor allem ihr ewiges Geheule darüber, wie überfordert sie mit ihren Kindern ist, weil sie nie eine Beziehung zu ihnen aufbauen konnte, Schuld daran war ihr Umfeld, darüber, dass die Ämter sie unfair behandeln und sie nicht klar komme, darüber wie schlimm der Vater ihrer Kinder sein, etc. PP. Sie hat das in unterschiedlichen Foren immer wieder formuliert und aus ihrer Geschichte nie ein Geheimnis gemacht, auch daraus nicht, dass immer die anderen Schuld sind. Sie hat in ihrer Überforderung dann noch ein drittes Kind bekommen. Gut, das geht mich nichts an. Dieses Kind ist mittlerweile round about 4 und jüngst sah ich ein Foto dieses Kindes in der Straßenbahn sitzend mit Schnuller und ich fragte, was es für ein Plastikteil im Mund habe. Da kam dann die Antwort „Ich bin keine perfekte Mutter und ich will auch keine sein“ .. echt jetzt?! Also ich finde, das ist aber auch nur meine bescheidene Meinung, dass jedes Kind eine perfekte Mutter verdient und auch hier gilt es wieder, dass Perfektion ein viel zu hoher Anspruch ist, den keiner erreichen kann, aber jeder sollte doch den Anspruch an sich haben, dies zu erreichen. Ich für meinen Teil bin eine furchtbare Mutter, ich hab dieses Muttersein vollkommen unterschätzt. Es verlangt mir das letzte ab jeden Tag aus Neue für mein Kind Perfektion anzustreben, ich finde es echt nicht leicht immer wieder die selben Kämpfe einzufechten, immer wieder die selben Diskussionen zu führen und immer wieder einsichtig zu sein, immer wieder die Balance zwischen Kompromissen und Konsequenz, und trotzdem wache ich jeden Morgen auf, sehe meinen Engel an und bin ihr die Mutter, die ich selbst gerne gehabt hätte und behandel sie so, wie ich selbst in ihrer Situation behandelt werden wollen würde. Und das mit allen Fehlern, die ich eben habe und mache.

Wie kam ich da jetzt drauf!?
Moralapostel. Ich überlege mir immer wieder, ob ich nicht einfach mal die Fresse halten sollte und in vielen Fällen mache ich das auch. Es gibt dennoch so gewisse Situationen, da kann ich nicht ruhig sein. Wenn ich sehe, wie sich ein Mob bildet, der sich geschlossen gegen einen Anderen, und sei das auch nur virtuell, stellt und er/sie nicht einmal die Chance hat, sich zu verteidigen, dann kann ich nicht ruhig sein, dann gebe ich diesem Menschen eine Stimme und zwar um den Menschen, die sich, in meiner moralischen Vorstellung falsch verhalten, die Möglichkeit zu geben, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und für sich zu erkennen, dass es vielleicht nicht so kool war. Ich sage nicht, dass sie scheiße sind, ich sage ihnen, dass ihr Verhalten nicht angebracht ist und sie sich überlegen sollten, wie es ihnen ginge, wenn sie in einer solchen Situation ginge, wenn sie so in der Luft zerrissen würden. Es ist die Reaktion darauf, die mir dann zeigt, was für ein Mensch dahinter steckt, denn statt sein eigenes Verhalten zu hinterfragen, wurde ich auch in der Luft zerrissen. Das ist okeh, denn ich weiß, dass ich mich mit solchen Ansichten oft in die Höhle des Löwen begebe, aber ich weiß auch, dass der Löwe mir nichts tut, und konträr zum realen Leben haben soziale Netzwerke eine funktionierende „Ignore-Funktion“.

Was mich betrifft, so habe ich einen Mann an meiner Seite, der einen ähnlichen, in manchen Beziehungen einen höheren moralischen Anspruch hat. Er ist ein Denker und hat in dieser Hinsicht eine theoretisches Wissen, was echt unglaublich ist. Er kennt für alles eine Bezeichnung und einen politischen und geschichtlichen Hintergrund, das ist echt der Hammer. Ich bin theoretisch nicht so versiert, ich bin eher der Typ, der in die Welt geht, sein Herz auf der Zunge trägt und den Mund auch dann aufmacht, wenn es besser wäre zu schweigen, aber dann eben höre ich mich schon reden und wie soll ich wissen was ich denke, bevor ich höre was ich sage!? Nun eben dieser kluge Mensch ist meine moralische Stütze, er weist mich auf mögliche „Fehler“ in meiner Denkweise hin und bringt mich dazu, über mich nachzudenken und mich selbst zu hinterfragen. Und ich bin ihm unendlich dankbar dafür.

Moralapostel.
Ja, wenn das heißt, dass ich Menschen darauf hinweise, dass ihr Verhalten nicht fair ist, wenn sie selbst nicht so behandelt werden wollen, dann bin ich ein Moralapostel. Wenn ich dankbar dafür bin, dass mich Menschen darauf hinweisen, dass ein Verhalten nicht fair war, dann bin ich ein Moralapostel. Wenn ich den Anspruch an Menschen habe, dass sie andere Menschen mit Respekt behandeln sollen, dann bin ich ein Moralapostel. Wenn ich ein Moralapostel bin, weil ich für Menschen aufstehe, weil sie, aus welchen Gründen auch immer, zu schwach dafür sind, dann ist das wohl so. Aber ich denke hoffe nicht, dass mich das zu einem schlechten Menschen macht.